Als Agentur für digitale Barrierefreiheit setzen wir uns stets dafür ein, dass Internetseiten für alle Menschen zugänglich sind. Digitale Barrierefreiheit ist Teil unserer DNA. Dabei spielen Content-Management-Systeme (CMS) eine entscheidende Rolle, da sie die Grundlage für die Gestaltung und Verwaltung praktisch aller Online-Präsenzen bilden. Kürzlich erreichte uns über die üblichen News-Kanäle die Nachricht mit der Überschrift „TYPO3 erreicht WCAG 2.1-Standard durch BITV-Test“. Das hat uns neugierig gemacht (wir setzen TYPO3 ja auch selbst ein). Konkret geht es um das TYPO3-Bootstrap-Package (Frontend-Theme), einem vorkonfigurierten Frontend-Theme für TYPO3 basierend auf dem Bootstrap CSS Framework. Kern der Nachricht: Offensichtlich hat das besagte Bootstrap-Package den BIK-BITV-Test erfolgreich bestanden. Vermutlich kennen Sie den BIK BITV-Test, aber falls nicht: beim BIK-BITV-Test handelt es sich um eine Expertenprüfung auf der Basis der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) beziehungsweise der technischen Umsetzungsnorm EN 301549, was tatsächlich sogar mehr ist, als die WCAG 2.1 AA. Darüber wollten wir mehr erfahren.

TYPO3 barrierefrei?

Vorneweg, die Nachricht „TYPO3 erreicht WCAG 2.1-Standard durch BITV-Test“ hat uns nicht nur neugierig, sondern auch zunächst erstmal skeptisch gemacht. Die Aussage, dass ein bestimmtes CMS besonders gut für die Barrierefreiheit geeignet ist, ist gelinde gesagt mit Vorsicht zu genießen, weil die Implementierung von barrierefreien Funktionen nicht ausschließlich von der Plattform abhängt, sondern auch stark von den Praktiken und dem Wissen der Designer, Webentwickler und der Content-Ersteller.

Wahr ist, dass einige CMS durch die Bereitstellung spezieller Funktionen oder vorkonfigurierte Frontend-Themes bzw. Frontend-Module die Einhaltung der Barrierefreiheitsstandards erleichtern können. Trotzdem bleibt Barrierefreiheit eine gemeinsame Verantwortung unterschiedlicher Disziplinen. Nur weil das TYPO3-Bootstrap-Package den BIK BITV-Test geschafft hat, bedeutet das nicht, dass automatisch jede damit erstellte Website barrierefrei ist. Es können immer noch viele Fehler gemacht werden, zum Beispiel durch Nichtbereitstellung von Alternativtexten für Bilder, die Verwendung von nicht ausreichend kontrastierenden Farben, den Missbrauch von Content-Elementen, oder durch die Verwendung von Plugins, die nicht barrierefreien Output erzeugen. All diese Dinge würden die Barrierefreiheit beeinträchtigen. Daher sollte man ein CMS eigentlich nur als Werkzeug betrachten, das, wenn es richtig eingesetzt wird, zur Barrierefreiheit beitragen kann, aber es garantiert nicht von sich aus Barrierefreiheit.

CMS und die Werbung mit Barrierefreiheit

Auch andere CMS werben mit dem Thema Barrierefreiheit oder haben es in der Vergangenheit getan. Früher hat zum Beispiel Contao mit dem Slogan „Contao – Barrierefreies Open Source Content Management System“ geworben. Und auch Joomla lässt sich nicht lumpen und wirbt aktuell mit „Joomla 4 bietet beste Barrierefreiheit“. Drupal bemüht sich derzeit nach eigener Aussage um die Erreichung der WCAG 2.1 AA und WordPress bietet schon lange so genannte Accessibility Ready Themes.

Auch das schon lange nicht mehr weiterentwickelte CSS-Framework YAML stand über viele Jahre für flexible, barrierefreie und responsive Websites, wenn man es richtig einzusetzen wusste. Und selbst das CSS-Framework Bootstrap 5.0 wirbt mit weitgehender Barrierefreiheit. Wobei man hier die Aussage zumindest einschränkt, Zitat: „Die allgemeine Zugänglichkeit eines mit Bootstrap erstellten Projekts hängt zu einem großen Teil vom Markup, dem zusätzlichen Styling und den Skripten ab, die der Autor eingebaut hat. Sofern diese jedoch korrekt implementiert wurden, sollte es durchaus möglich sein, mit Bootstrap Websites und Anwendungen zu erstellen, die WCAG 2.1 (A/AA/AAA), Abschnitt 508 und ähnliche Zugänglichkeitsstandards und -anforderungen erfüllen.“ Das ist auf jeden Fall schon mal eine Aussage, bei der wir mitgehen können. Und letztendlich schlägt diese Aussage auch einen schönen Bogen zurück zur Überschrift „TYPO3 erreicht WCAG 2.1-Standard durch BITV-Test“ beziehungsweise zu dem TYPO3-Bootstrap-Package (Frontend-Theme), das den BIK BITV-Test geschafft hat.

TYPO3-Bootstrap-Package barrierefrei?

Wer bis hier hin gelesen hat, wird von der folgenden Aussage nicht überrascht sein: Die Überschrift „TYPO3 erreicht WCAG 2.1-Standard durch BITV-Test“ ist irreführend. Aber Fakt ist, das TYPO3-Bootstrap-Package hat den BIK BITV-Test geschafft. Da wir (anatom5) selbst Prüfstelle beim BIK BITV-Test sind, wissen wir wie schwer BITV-Konformität in diesem Test zu erreichen ist. Wir haben uns dann auch mal die Mühe gemacht und einen Blick in den Prüfbericht geworfen. Und siehe da, tatsächlich wurden insgesamt 12 Seiten getestet. Das ist auch für den BIK BITV-Test keine geringe Sample-Auswahl (was ggf. zu verfälschten Ergebnissen hätte führen können). Durchgeführt wurde der BITV-Test von unserm Kollegen Marcus Herrmann. Auch das spricht für eine genaue Prüfung.

Geprüft wurden die folgenden 12 Seiten der Seite www.bootstrap-package.com:  

1. Startseite
2. Customize
3. Features
4. Accordion
5. Carousel
6. Tab
7. Forms
8. Search
9. Audio
10. Card Group
11. Text and Media
12. File downloads

Man sieht, die Auswahl ist umfangreich. Wer selbst schon Erfahrungen mit dem BITV-Test gesammelt hat, erkennt schnell, dass hier auch durchaus komplexe Element, wie Formulare oder diverse interaktive Widgets getestet wurden. Damit stellt das TYPO3-Bootstrap-Package tatsächlich eine beachtliche Zahl an Features und Content-Elementen zur Verfügung, um eine barrierefreie Gestaltung von Websites zu ermöglichen, wobei die Betonung explizit auf „ermöglichen“ liegt.

Fazit und Ausblick:

Das BIK BITV-Test Zertifikat für das TYPO3-Bootstrap-Package ist eine große Leistung. Man sollte aber im Hinterkopf behalten, dass die Seite www.bootstrap-package.com genau mit diesem Ziel erstellt wurde. Das Zertifikat und die Demo-Seite sind also zunächst nur ein Beleg dafür, dass BITV-Konformität mit diesem Package machbar ist, aber auch das ist gut zu wissen. Es ist aber definitiv keine Garantie für Barrierefreiheit. In den richtigen Händen kann das vorkonfigurierte Frontend-Theme für TYPO3 also sehr hilfreich sein, vor allem für Projekte, die mit dem Modul- und Feature-Umfang und mit dem vorgegebenen Design gut bedient sind. Denn letztendlich macht das Package nur so Sinn. Gekauft, wie gesehen, mit individueller Farbanpassung, eigenem Logo und eigenem Content, aber ansonsten halt Bootstrap-Design, wie auf der Demo-Seite. Denn der BIK-BITV-Test ist wie gesagt spezifisch für dieses eine TYPO3-Bootstrap-Package durchgeführt worden. Das Ergebnis ist nicht per se übertragbar oder auf individuell angepasste Versionen, zukünftige Weiterentwicklungen oder zusätzliche Plugins anwendbar. Das Ergebnis bezieht sich nur auf die Seite www.bootstrap-package.com – und zwar auch nur bezogen auf die Sample-Auswahl und den speziellen Content auf dieser Seite. Man muss also schon exakt das Package kopieren und darf dann auch nur ein paar gleichwertige Farben tauschen, um mit eigenem Content (bei ähnlicher Struktur und gleichem Funktionsumfang) ein vergleichbares Ergebnis erzielen zu können. Wer es individueller haben möchte, oder mehr Funktionsumfang braucht, dem ist hier nur begrenzt geholfen. Und es ist vielleicht auch nicht unwichtig zu erwähnen, dass der aktuelle BIK-BITV-Test für das TYPO3-Bootstrap-Package noch nicht die Anforderungen der für Ende 2023 angekündigten WCAG 2.2 berücksichtigt. Diese Weiterentwicklung der WCAG-Richtlinien wird in Zukunft weitere Herausforderungen für die digitale Barrierefreiheit mit sich bringen. Und nochmal, der redaktionelle Content darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Art und Weise, wie Inhalte erstellt und veröffentlicht werden, kann ebenfalls Barrieren schaffen. Hier ist eine bewusste und strukturierte Vorgehensweise erforderlich, um sicherzustellen, dass Texte, Bilder, Videos und andere Inhalte für alle Nutzer zugänglich sind. Auch für dieses TYPO3-Bootstrap-Package braucht es Erfahrung in Bezug auf digitale Barrierefreiheit in allen Gewerken und vor allem eine geschulte Online-Redaktion.