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Was bedeutet eigentlich Barrierefreiheit?

Das Thema digitale Barrierefreiheit ist nicht nur durch die seit Jahren geltenden Gesetze und Richtlinien mittlerweile vielen Menschen ein geläufiger Begriff. Digitale Barrierefreiheit spielt tatsächlich in immer mehr Bereichen unserer Gesellschaft eine Rolle – im Tourismus, in der Architektur, bei der Mobilität, in der Bildung und natürlich auch in der Telekommunikation sowie der Informationstechnologie.

Was genau ist barrierefrei?

Wann ist etwas barrierefrei? Das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGG) liefert in § 4 eine ziemlich klare Aussage – wenn man das Beamtendeutsch einmal entkernt: Barrierefrei nach (BGG) § 4 (...) sind Systeme (...), wenn sie für behinderte Menschen (...) in der allgemeinen üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.

Wenn Sie diese Aussage zum Beispiel auf ein Info-Terminal mit Touchdisplay anwenden, braucht es nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, welche Probleme gelöst werden müssen, damit etwa auch motorisch eingeschränkte Nutzer*innen mit der Technik arbeiten können. Gleiches gilt für Websites, mobile Apps, E-Books, Software-Oberflächen oder digitale Verwaltungsleistungen.

Hilfstechnologien für Menschen mit Behinderung

Ein entscheidender Aspekt digitaler Barrierefreiheit ist die Kompatibilität mit sogenannten Hilfsmitteln oder Assistive Technologien. Diese Werkzeuge helfen Menschen mit Behinderung dabei, digitale Inhalte wahrzunehmen und zu nutzen. Dazu gehören unter anderem:

  • Screenreader wie JAWS, NVDA oder VoiceOver, die blinden oder sehbehinderten Menschen Webseiten vorlesen.
  • Braillezeilen, die Texte in tastbare Blindenschrift umsetzen.
  • Bildschirmvergrößerungssoftware wie ZoomText oder integrierte Vergrößerungsfunktionen in Windows und macOS.
  • Spracherkennungssoftware wie Dragon NaturallySpeaking, die motorisch eingeschränkten Menschen das Bedienen des Computers per Sprache erlaubt.
  • Alternative Eingabegeräte, etwa Augensteuerungen oder Ein-Schalter-Systeme (Switches), mit denen Nutzer*innen Webseiten ganz ohne Maus oder Tastatur bedienen können.

Für eine digitale Anwendung bedeutet das: Barrierefreiheit endet nicht beim "gut gemeinten" Design. Vielmehr muss eine Seite so programmiert sein, dass diese Technologien korrekt und zuverlässig damit interagieren können – das betrifft insbesondere die semantische Struktur, Tastaturbedienbarkeit, Fokusmanagement und konsistente Benutzerführung.

Behinderte Menschen, Senioren und Migranten

Ein alter, blindet Mann mit Blindenstock sitzt auf einer Bank und nutzt die Smartphone-Sprachausgabe

Viele Menschen können sich auch heute noch nicht vorstellen, dass das Internet mit all seinen digitalen Services für manche Zielgruppen massive Grenzen und Barrieren aufweist. Besonders betroffen sind behinderte Menschen, ältere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Und das ist durchaus ein Problem, denn heutzutage sind beispielsweise Arbeitsplätze ohne technologische Grundausstattung kaum mehr denkbar. Oder denken Sie an gleiche Chancen am Arbeitsmarkt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten keine Möglichkeit, im Internet nach Stellenausschreibungen zu recherchieren oder an einem digitalen Bewerbungsverfahren teilzunehmen.

Das Internet ist heute als Informations- und Kommunikationsmedium nicht mehr wegzudenken. Wissen ist jederzeit an jedem Ort verfügbar. Doch nur, wer darauf Zugriff hat, kann hinsichtlich Bildung, Teilhabe und Fortschritt mithalten. Nicht nur ältere Menschen haben häufig technologische Entwicklungen verpasst. Auch Menschen, die aufgrund sozialer Umstände wenig Zugriff auf digitale Technologien haben, bleiben auf der Strecke. Unter der Überschrift "Digitale Integration" gibt es europaweit Bemühungen, die Möglichkeiten der Informationstechnologie allen Menschen zugänglich zu machen. In Deutschland bilden das BGG und die BITV die gesetzliche Grundlage für diese Idee.

Barrierefreies Internet bedeutet "Zugang für alle"

Barrierefreies Internet bedeutet, dass eine Internetseite oder eine webbasierte Anwendung für jede Nutzerin und jeden Nutzer wahrnehmbar, verständlich und bedienbar sein muss. Und zwar sowohl unter technischen Aspekten (Browser, Betriebssystem, Endgerät, Zusatzsoftware etc.) als auch bezogen auf die inhaltlichen Gesichtspunkte (Verständlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Selbstbeschreibungsfähigkeit etc.).

Zum Beispiel:
Ein blinder Mensch nutzt einen Screenreader, um sich Inhalte vorlesen zu lassen. Wenn eine Website Navigationspunkte ausschließlich als Symbole oder Bilder darstellt – ohne sinnvolle Alternativtexte – bleiben diese Informationen für ihn unsichtbar. Ebenso problematisch sind PDFs, die rein aus gescannten Bildern bestehen und keinen echten Text enthalten – sie sind für Screenreader schlicht unlesbar.

Ein sehbehinderter Mensch mit eingeschränktem Sehfeld oder Kontrastempfinden kann schlecht gestaltete Websites kaum nutzen: Wenn Texte klein, kontrastarm oder fest in Bildern eingebettet sind, lassen sie sich weder vergrößern noch mit Bildschirmvergrößerungssoftware lesen. Auch fixe Layouts, die sich nicht an die Bildschirmeinstellung anpassen, führen schnell zur Unbedienbarkeit.

Ein Mensch mit motorischen Einschränkungen – etwa durch eine Lähmung oder chronische Erkrankung – kann unter Umständen weder Maus noch Tastatur bedienen. Viele dieser Nutzer*innen greifen auf Sprachsteuerung zurück, etwa mit Systemen wie Dragon NaturallySpeaking oder integrierten Sprachassistenten. Doch wenn Bedienelemente nicht korrekt beschriftet sind, nicht fokussierbar oder die Seitennavigation komplex und unlogisch aufgebaut ist, scheitert auch die Sprachsteuerung. Dann wird selbst das Ausfüllen eines Formulars oder das Klicken eines Buttons zur unüberwindbaren Barriere.

Ein Mensch mit kognitiven Beeinträchtigungen oder Lernschwierigkeiten ist auf klare Strukturen, einfache Sprache und reduzierte Informationsdichte angewiesen. Komplexe Menüführungen, unklare Navigation oder schwer verständliche Fachbegriffe erschweren die Nutzung erheblich – und schließen Menschen oft faktisch von digitalen Angeboten aus.

Mehr als nur Websites: Apps, Dokumente, Software, Hardware

Digitale Barrierefreiheit beschränkt sich längst nicht mehr nur auf öffentliche Websites. Auch Intranet- und Extranet-Angebote, mobile Anwendungen (Apps) sowie digitale Dokumente, insbesondere PDFs, müssen barrierefrei gestaltet sein – sowohl im öffentlichen als auch zunehmend im privaten Bereich. Denn viele dieser Formate enthalten geschäfts- oder verwaltungsrelevante Informationen, auf die Menschen mit Behinderungen denselben uneingeschränkten Zugang haben müssen wie alle anderen.

Darüber hinaus sind nicht nur Webinhalte betroffen: Auch Softwareanwendungen, digitale Servicesysteme wie Selbstbedienungsterminals oder Geldautomaten sowie Hardware (z. B. Computer, mobile Geräte, Bedienelemente oder Peripherie) unterliegen Anforderungen an Barrierefreiheit – insbesondere im Rahmen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes.

Die technische Grundlage für diese Anforderungen bildet in Europa die EN 301 549. Diese harmonisierte Norm konkretisiert, wie Barrierefreiheit für verschiedene digitale Systeme umzusetzen ist. Sie ist in einzelne Kapitel gegliedert, die spezifische Anforderungen an Webinhalte, Software, Dokumente, Hardware, Kommunikationstechnologie und kombinierte Systeme stellen. In weiten Teilen orientiert sich die EN 301 549 dabei an den international anerkannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), insbesondere Version 2.1, die durch den World Wide Web Consortium (W3C) veröffentlicht wurden.

Gesetzliche Grundlagen: BGG, BITV, BFSG, EAA, EN 301 549

Die Schaugrafik zeigt die gesetzlichen Grundlagen der IT-Barrierefreiheit in Deutschland in Form einer Zielscheibe. In der Mitte der Zielscheibe steht „WCAG 2.1 – Level A & AA“, also die internationalen Web Content Accessibility Guidelines als Zielvorgabe. Eine rote Pfeilspitze trifft exakt das Zentrum.  Die äußeren Ringe der Zielscheibe symbolisieren die verschiedenen Ebenen der rechtlichen Regelungen, die auf diese Richtlinien verweisen. Der äußerste Ring trägt die Abkürzung „BGG“ für das Behindertengleichstellungsgesetz. Darunter folgen die BITV und das BFSG, die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung sowie das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Der nächste Ring zeigt die Norm EN 301 549, eine europäische Norm, die direkt auf die WCAG 2.1 verweist.  Am unteren rechten Rand der Zielscheibe ist zusätzlich ein Bereich mit der Bezeichnung „PDF/UA“ zu sehen. Dieser verweist auf den barrierefreien PDF-Standard nach DIN ISO 14289-1:2016-12.  Links neben der Zielscheibe werden die Abkürzungen ausgeschrieben und kurz erläutert. Die Grafik zeigt anschaulich, dass all diese Regelwerke letztlich auf die Einhaltung der WCAG 2.1 als zentralem technischen Standard für Barrierefreiheit im Web abzielen.

Um allen Menschen den Zugang zu digitalen Informationen und Diensten zu ermöglichen, wurden auf nationaler und europäischer Ebene verbindliche Richtlinien und Gesetze entwickelt. In Deutschland ist dies im öffentlichen Sektor vor allem durch das BGG (Behindertengleichstellungsgesetz) und die darauf basierende BITV (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung) geregelt. Diese schreiben vor, dass alle digitalen Angebote öffentlicher Stellen barrierefrei gestaltet sein müssen. Für die Privatwirtschaft gewinnt das Thema durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) zunehmend an Relevanz. Ab dem 28. Juni 2025 müssen viele digitale Produkte und Dienstleistungen privater Anbieter barrierefrei zugänglich sein – darunter etwa E-Commerce-Angebote, Bankdienstleistungen, E-Book-Reader oder Kommunikationsplattformen. Beide nationalen Regelwerke nehmen Bezug auf europäische Standards: Die EU-Richtlinie 2016/2102 regelt die Barrierefreiheit öffentlicher Stellen, während die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act, EAA) Anforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen des privaten Sektors vorgibt. Technisch konkretisiert werden diese Anforderungen durch die Norm EN 301 549, die auch die Grundlage für das BFSG bildet. Diese Entwicklungen stehen im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die seit 2009 in Deutschland geltendes Recht ist. Sie verpflichtet Staat und Gesellschaft dazu, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen – insbesondere auch im digitalen Raum – sicherzustellen.

Künstliche Intelligenz und Barrierefreiheit

Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet neue Möglichkeiten, digitale Inhalte und Dienste barrierefreier zu gestalten – sowohl bei der Erstellung als auch bei der Nutzung. Heute schon ermöglichen KI-basierte Tools:

  • Automatische Bildbeschreibungen für blinde Nutzer*innen, etwa durch Microsoft Azure, Google Vision oder Facebooks Alt-Text-System.
  • Live-Untertitelung bei Videos und Videokonferenzen in Echtzeit.
  • Sprach-zu-Text-Funktionalitäten, die gesprochene Sprache in Text umwandeln – hilfreich für gehörlose oder schwerhörige Personen.
  • Texterleichterung und automatische Zusammenfassungen, etwa in einfache Sprache.
  • Erste Ansätze zu automatisierter Gebärdensprache, z. B. durch Avatare, befinden sich noch in der Erprobung.

Trotz aller Fortschritte: KI ist kein Ersatz für barrierefreies Design, sondern bestenfalls eine Ergänzung. Viele der automatisierten Systeme arbeiten nicht fehlerfrei, sind nicht barrierefrei bedienbar oder berücksichtigen kulturelle und individuelle Unterschiede nicht ausreichend. Besonders wichtig bleibt: Barrierefreiheit muss von Anfang an gedacht und mit Menschen mit Behinderung gemeinsam gestaltet werden.