Die WCAG 2.2 ist da
Es ist vollbracht, am 05. Oktober 2023 wurde die lange erwartete WCAG 2.2, die nächste Generation der Web Content Accessibility Guidelines, veröffentlicht. Was ist neu und was bedeutet das für die deutsche Gesetzgebung? Werfen wir einen Blick auf die Neuerungen.
Die WCAG 2.2 enthält neun neue Kriterien, von denen sechs Kriterien zu den Konformitätsstufen A + AA gehören (für die deutsche Gesetzgebung relevant). Nachfolgend habe ich die sechs Kriterien mit Originalnamen (englisch) aufgelistet und mit maximal kurzem Beispiel erläutert. Mehr dazu finden Sie unter den jeweiligen Links:
- Focus Not Obscured (Minimum): Das gerade fokussierte Element darf nicht verdeckt werden, zum Beispiel durch ein Dialogfenster, ein Flyout-Menü oder ähnliches.
- Dragging Movements: Funktionen, die Ziehbewegungen erfordern (Drag & Drop), müssen auch ohne Ziehbewegung ausführbar sein.
- Target Size (Minimum): Interaktive (klickbare) Elemente müssen jetzt eine Mindestgröße haben oder einen Mindestabstand zu anderen klickbaren Elementen aufweisen (mit Ausnahmen).
- Consistent Help: Wenn es Hilfeoptionen gibt, sollten diese auf verschiedenen Seiten konsistent, also in der gleichen Reihenfolge dargestellt werden (mit Ausnahmen).
- Redundant Entry: Benutzer sollten nicht gezwungen werden, dieselben Informationen mehrmals einzugeben (mit Ausnahmen).
- Accessible Authentication (Minimum): Bei Authentifizierungsverfahren, die einen "kognitiven Funktionstest" erfordern, muss eine Alternative angeboten werden oder es gibt einen Mechanismus, der beim Ausfüllen des Tests der kognitiven Funktionen unterstützt (mit Ausnahmen).
Prüfschritt 4.1.1 Parsing entfällt
Mein persönliches Highlight der WCAG 2.2 ist, dass Prüfschritt 4.1.1 Parsing zukünftig endlich entfällt. Dieser Schritt stammt noch aus den frühen Tagen der WCAG 2.0 und sollte sicherzustellen, dass Browser und Hilfstechnologien, wie Screenreader, HTML korrekt interpretieren können. Seitdem haben die HTML-Spezifikationen und Browser den Umgang mit Syntax-Fehlern ständig verbessert, sodass diese in der Praxis erfahrungsgemäß keine Auswirkung mehr auf die Barrierefreiheit haben.
Was bedeutet die WCAG 2.2 für die BITV?
Okay, wer mich kenn, der weiß, dass „BITV“ an dieser Stelle einfach für „Deutsche Gesetzgebung in Bezug auf digitale Barrierefreiheit“ steht. Gemeint sind also auch alle Landesgesetze sowie das Barrierefreiheitstärkungsgesetz. Für die deutsche Gesetzgebung ändert sich kurzfristig vermutlich erstmal wenig. Denn für digitale Barrierefreiheit gilt in Deutschland und der EU die EN 301549. Und bis die EN 301 549 in einer aktualisierten Form die neuen Prüfschritte enthält, wird es noch dauern. Es ist davon auszugehen, dass die Aktualisierung dieser Norm nicht vor 2025 als „harmonisierte Norm“ veröffentlicht wird. Aber natürlich können zum Beispiel Landesgesetze (und auch Ausschreibungen) die WCAG 2.2 schon vorher einfordern. Und es bleibt der § 3 Absatz 2 der BITV, der besagt, dass alles, was nicht von harmonisierten Normen abgedeckt ist, nach dem Stand der Technik barrierefrei zu gestalten ist. Dieser Paragraf wird in der Praxis nach meinem Kenntnisstand wenig beachtet, aber de facto kann man daraus lesen, dass die WCAG 2.2 ab sofort gilt, auch wenn die Prüfschritte noch nicht Teil der EN 301549 sind. Letztendlich macht es aber natürlich Sinn, die Neuerungen der WCAG 2.2 schon jetzt zu berücksichtigen, damit man nicht irgendwann zu unnötigen, nachträglichen Korrekturen gezwungen ist. Abgesehen davon machen die Neuerungen ja gerade für verschiedene Zielgruppen einfach Sinn. Denn Barrierefreiheit hat ja nicht nur etwas mit Konformität zu tun.
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