Zertifikate für digitale Barrierefreiheit: Was die IAAP anbietet – und was man darüber wissen sollte
Mit dem Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) rückt digitale Barrierefreiheit stärker denn je in den Fokus von Wirtschaft, Verwaltung und Öffentlichkeit. Ab Juni 2025 gelten verbindliche Anforderungen an digitale Produkte und Dienstleistungen – und damit steigt der Druck auf Unternehmen, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten. Der Beratungsbedarf ist enorm: Zahlreiche Organisationen suchen nach kompetenter Unterstützung, um gesetzliche Anforderungen nicht nur zu erfüllen, sondern sinnvoll umzusetzen. Gleichzeitig wächst die Zahl der Anbieter:innen, die sich als Expert:innen für digitale Barrierefreiheit positionieren – nicht immer mit nachweisbarer Qualifikation.
In diesem Kontext stellen sich viele die Frage: Wie erkennt man echte Fachkenntnis? Und welche Rolle spielen Zertifikate, etwa von der IAAP (International Association of Accessibility Professionals)?
Ein Blick auf die gängigen Zertifizierungen im Bereich digitale Barrierefreiheit zeigt, was diese wirklich aussagen – und wo ihre Grenzen liegen.
Die Rolle der IAAP im Bereich Barrierefreiheit
Die IAAP ist eine internationale Fachorganisation mit Sitz in den USA, die sich darauf spezialisiert hat, Standards und Qualifikationen für Accessibility Professionals weltweit zu etablieren. Seit ihrer Gründung im Jahr 2014 verfolgt sie das Ziel, Barrierefreiheit als eigenständige berufliche Disziplin zu etablieren. Durch Fortbildungen, Community-Building und standardisierte Prüfungen will die IAAP sicherstellen, dass Fachkräfte weltweit über vergleichbare Kompetenzen verfügen.
Im Zentrum stehen dabei mehrere Zertifizierungen für Expert:innen für digitale Barrierefreiheit, die sich nach Zielgruppe und Schwierigkeitsgrad unterscheiden.
Überblick: Die wichtigsten IAAP-Zertifikate
Wer sich im Bereich Accessibility zertifizieren lassen möchte, trifft meist zuerst auf das CPACC-Zertifikat. Dieses richtet sich an alle, die ein fundiertes Grundwissen zur digitalen Barrierefreiheit nachweisen möchten – darunter Projektmanager:innen, UX-Designer:innen, Redakteur:innen oder Fachleute aus der öffentlichen Verwaltung.
Für technisch versierte Menschen, etwa Webentwickler:innen oder Accessibility Engineers, ist das WAS-Zertifikat (Web Accessibility Specialist) von größerem Interesse. Es konzentriert sich auf technisches Know-how, etwa zur Anwendung von WAI-ARIA, barrierefreier HTML-Struktur, semantischem Code und assistiven Technologien.
Wer beide Prüfungen erfolgreich besteht, trägt die Bezeichnung CPWA – Certified Professional in Web Accessibility, die beide Kompetenzfelder zusammenfasst. Ergänzt wird das Angebot seit Kurzem durch ein weiteres Zertifikat: den ADS – Accessible Document Specialist, der auf die barrierefreie Aufbereitung von Dokumenten wie PDFs oder Office-Dateien abzielt.
Zertifizierungsprozess: Prüfung, Dauer und Sprache
Die IAAP-Zertifizierungen werden online in Form von Multiple-Choice-Prüfungen abgelegt. Für das CPACC-Zertifikat stehen rund zwei Stunden Prüfungszeit zur Verfügung, die WAS-Prüfung nimmt etwa die gleiche Zeit in Anspruch. Die Fragen sind ausschließlich auf Englisch formuliert – was für viele Kandidat:innen mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist, insbesondere wenn sie nicht im englischsprachigen Raum arbeiten.
Auch die Inhalte selbst sind stark US-zentriert. Zwar spielen internationale Standards wie die WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) eine zentrale Rolle, doch viele Praxisbeispiele und gesetzliche Bezüge stammen aus dem amerikanischen Kontext, etwa der Section 508 oder dem Americans with Disabilities Act (ADA). Die europäische Norm EN 301 549 findet zwar Erwähnung, steht aber nicht im Mittelpunkt.
Kosten: Was man für ein IAAP-Zertifikat investieren muss
Die Teilnahme an den Prüfungen ist mit nicht unerheblichen Kosten verbunden. Für CPACC fallen derzeit rund 425 US-Dollar an, sofern man kein IAAP-Mitglied ist. Mitglieder zahlen etwas weniger, etwa 325 US-Dollar. Die WAS-Prüfung kostet je nach Mitgliedsstatus zwischen 375 und 475 US-Dollar. Wer beide Zertifikate erwirbt, zahlt also insgesamt bis zu 900 US-Dollar – ohne Vorbereitungsseminare, Lernmaterialien oder Wiederholungsprüfungen.
Die Gültigkeit eines Zertifikats beträgt drei Jahre. Danach muss man entweder nachweisen, dass man sich durch Weiterbildungen regelmäßig mit dem Thema befasst hat – oder die Prüfung erneut ablegen. Die sogenannte Re-Zertifizierung erfordert das Sammeln sogenannter CAECs (Continuing Accessibility Education Credits). Diese Punkte erhält man z. B. durch Fachkonferenzen, E-Learning oder Schulungsangebote. Auch dieser Prozess ist mit Kosten verbunden, da viele Angebote kostenpflichtig sind. Hinzu kommen Verwaltungsgebühren in Höhe von etwa 125 bis 150 US-Dollar.
Für wen lohnen sich die Zertifizierungen?
Vor allem für Menschen, die neu in das Feld der Barrierefreiheit einsteigen oder ihren beruflichen Weg in eine spezialisierte Richtung lenken möchten, können die IAAP-Zertifikate eine wertvolle Orientierung bieten. Auch in internationalen Organisationen oder bei Ausschreibungen öffentlicher Stellen kann ein Zertifikat dabei helfen, sich von anderen Bewerber:innen abzuheben oder formale Anforderungen zu erfüllen.
Darüber hinaus dient der strukturierte Lernprozess der eigenen Qualifizierung: Wer sich gezielt auf die Prüfungen vorbereitet, erarbeitet sich ein solides Fundament an theoretischem Wissen rund um digitale Barrierefreiheit.
Kritische Perspektiven: Warum Zertifikate kein Garant für Expertise sind
Trotz der wachsenden Bedeutung formaler Nachweise ist nicht jeder von der Aussagekraft der IAAP-Zertifikate überzeugt. Der wichtigste Kritikpunkt: Die Prüfungen messen in erster Linie theoretisches Wissen, nicht aber die Fähigkeit, Barrierefreiheit im Alltag erfolgreich umzusetzen. Wer seit Jahren barrierefreie Anwendungen entwickelt, mit Betroffenen zusammenarbeitet oder große Digitalprojekte verantwortet, bringt oft ein tieferes Verständnis mit als jemand, der gerade ein Zertifikat erworben hat.
Hinzu kommt die Sprachbarriere. Die ausschließliche Verfügbarkeit der Prüfungen auf Englisch – in einem kulturell und rechtlich stark US-geprägten Kontext – erschwert den Zugang für viele Fachleute aus dem deutschsprachigen Raum. Auch der finanzielle Aufwand ist nicht zu unterschätzen, besonders für Selbstständige oder kleinere Unternehmen.
In der Praxis zeigt sich: Echte Expertise in digitaler Barrierefreiheit entsteht vor allem durch Erfahrung. Durch Projekte mit echten Nutzer:innen. Durch Dialog mit Menschen mit Behinderungen. Und durch die Fähigkeit, technische, gestalterische und organisatorische Anforderungen pragmatisch und nachhaltig zu verbinden.
IAAP D·A·CH: Die deutschsprachige Community für Accessibility Professionals
Für Fachkräfte aus dem deutschsprachigen Raum bietet die IAAP D·A·CH – die regionale Niederlassung der International Association of Accessibility Professionals – eine wichtige Anlaufstelle. Der Fachverband ermöglicht nicht nur den Zugang zu internationalen Zertifizierungen, sondern schafft auch Raum für Vernetzung, Wissensaustausch und Weiterbildung. Mitglieder profitieren von deutschsprachigen Veranstaltungen, regional relevanten Themen und einer aktiven Community, die sich mit den spezifischen Anforderungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz auseinandersetzt. Wer sich also zertifizieren lassen möchte und zugleich Anschluss an eine Community sucht, findet bei IAAP D·A·CH einen passenden Rahmen.
Fazit: Nützliches Instrument – aber nicht das Maß aller Dinge
Die Zertifizierungen der IAAP bieten einen strukturierten, international anerkannten Nachweis von Fachwissen im Bereich digitale Barrierefreiheit. Für viele ist das ein sinnvoller Schritt, um die eigene Position im Arbeitsmarkt zu stärken oder sich gezielt weiterzubilden.
Aber sie sind nicht das alleinige Maß für Kompetenz. Wer sich seit vielen Jahren mit digitaler Barrierefreiheit beschäftigt, wer Projekte umsetzt, Lösungen entwickelt und mit der Zielgruppe arbeitet, verfügt oft über ein Erfahrungswissen, das sich nicht in Multiple-Choice-Fragen abbilden lässt.
Ein IAAP-Zertifikat kann ein Baustein auf dem Weg zur Professionalität sein – aber kein Ersatz für fundierte Praxiserfahrung, echtes Engagement und einen offenen Blick für die realen Bedürfnisse der Nutzer:innen.
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