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Studie zur Barrierefreiheit von Online-Shops

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Ab Juni 2025 sind viele private Anbieter von digitalen Produkten und Dienstleistungen gesetzlich verpflichtet, ihre Online-Angebote barrierefrei zu gestalten. Die Details dazu sind im neuen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) geregelt. Da es bis dahin nicht mehr lange ist, hat die Aktion Mensch gemeinsam mit Google, der Stiftung Pfennigparade und der Firma BITV-Consult die Barrierefreiheit von einigen der meistbesuchten deutschen Onlineshops untersucht. Dabei hat man sich auf die Top-500 Webseiten (Similarweb, 2022) in Deutschland konzentriert und speziell 78 Webseiten mit vollständigen E-Commerce-Webshops ausgesucht und analysiert.

Die Beteiligten haben die Barrierefreiheit der ausgewählten Seiten anhand einer ausgewählten (und reduzierten) Anzahl an Kriterien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 untersucht und bewertet. Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 sind deckungsgleich mit Kapitel 9 der EN 301549 (sogenannte Beschaffungsrichtlinie) und international als Standard für die Bewertung von Barrierefreiheit im digitalen Raum anerkannt.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind wenig überraschend und eindeutig: sie zeigen, dass die deutschen Online-Shops zum großen Teil noch nicht barrierefrei sind, obwohl Barrierefreiheit für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung von großer Bedeutung ist – und für die geprüften Seiten ab 2025 auch gesetzlich gefordert. Angesichts des zunehmenden Anteils von Menschen mit Beeinträchtigungen, insbesondere aufgrund der alternden Bevölkerung, wird die Bedeutung der Barrierefreiheit im Internet deutlich: Menschen mit Behinderungen haben oft immer noch große Schwierigkeiten, am digitalen Handel teilzunehmen. Daraus ergeben sich zum Teil erhebliche Nachteile gegenüber Menschen ohne Behinderung.

Bekannte Online-Shops in der Prüfauswahl

Die untersuchten Online-Shops gehören zu den bekanntesten Marken in Deutschlands. Zur Prüfauswahl gehörten Shops von Marktgrößen wie Amazon, Otto, MediaMarkt, Saturn, Lidl, EDEKA, H&M, Douglas, IKEA, Conrad Electronic, About You, Rossmann, Tchibo, REWE und viele weiter mehr. Die Ergebnisse der Studie sind alarmierend: nur etwa ein Viertel der getesteten Online-Shops erfüllte die grundlegenden Anforderungen an Barrierefreiheit (es wurden wie gesagt aber auch nicht alle Kriterien für Barrierefreiheit geprüft). Das bedeutet, dass drei Viertel der größten deutschen Online-Shops erhebliche Hindernisse für Menschen mit Behinderungen darstellen. Insbesondere die Bedienbarkeit mit Hilfstechnologien wie Screenreadern erwies sich im Rahmen der Untersuchung als problematisch. Mangelnde Tastaturbedienbarkeit war dabei die häufigste Barriere, so das Ergebnis der Untersuchung. 61 von 78 untersuchten Webseiten waren nicht demnach nicht allein über die Tastatur bedienbar (zum Beispiel durch eingeblendete Inhalte wie Cookie-Banner, die sich nicht mit Tastatur schließen ließen). Das ist ein großes Problem für sehbehinderte und blinde Menschen, aber auch für Menschen mit motorischer Einschränkung. Auch nicht ausreichende Kontraste machten die Benutzung der auswählten Seiten zum Teil schwierig. Sind Farben von Text und Hintergrund nicht ausreichend, ist es schwierig bis unmöglich für Menschen mit Sehbehinderung, diese Texte zu lesen. Viele der getesteten Online-Shops hatten zudem unzureichende Alternativtexte für Bilder oder nicht beschriftete Formulare, was insbesondere für Screenreader-Nutzer ein Problem darstellt.

Bedeutung der Untersuchung

Die von der Aktion Mensch veröffentlichte Liste der auf Barrierefreiheit getestete Online-Shops liest sich wie das Who-is-Who des deutschen Online-Handels, darunter etliche börsennotierte Konzerne, wie Adidas, Ebay oder Zalando. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung der Untersuchung nicht nur eine Frage von gesetzlichen Vorschriften sind, sondern vor allem auch eine Frage der sozialen Verantwortung von Großunternehmen. Denn schon im Grundgesetz Art 14 steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Barrierefreiheit ist also kein Apell ans Gutmenschentum. Jeder Mensch, unabhängig von seinen individuellen Fähigkeiten, muss heutzutage die gleichberechtigte Möglichkeit zur Teilhabe am digitalen Handel haben. Hier geht es um eine inklusive Gesellschaft, in der niemand ausgeschlossen wird. Wenn schon die größten Online-Shops der gesellschaftlichen und gesetzlichen Verpflichtung (noch) nicht nachkommen, was sagt das den vielen kleinen Online-Shop-Betreibern, die aufgrund von Umsatz und Unternehmensgröße auch unter das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz fallen. Müssten die größten Unternehmen hier nicht Vorreiter sein? Eine Frage des Geldes kann es nicht sein.

Veröffentlichung der Ergebnisse im Detail

Der umfassende Untersuchungsbericht aus der Kooperation zwischen Aktion Mensch, BITV-Consult, Google und der Stiftung Pfennigparade soll die Bedeutung eines inklusiven Internets für die gesellschaftliche Teilhabe aufzuzeigen. Denn wie heißt es so treffend: „Barrierefreiheit ist für 100 Prozent der Besucher hilfreich, für 30 Prozent notwendig und für 10 Prozent unerlässlich“. Auf insgesamt 34 Seiten liefert der Untersuchungsbericht eine detaillierte Beschreibung der Kriterien, die im Test verwendet wurden, um die Barrierefreiheit von Online-Shops in Deutschland zu bewerten.

Die Kriterien stammen, wie gesagt, aus der WCAG 2.1 und umfassen grundlegende Anforderungen für eine allgemeine Zugänglichkeit, wie Tastaturbedienbarkeit, Beschriftungen, Labels oder Anweisungen, Änderung der Textgröße, Textabstand und Textumbruch, Untertitel für multimediale Inhalte, Überschriften und Beschriftungen und einige mehr. Auch die Methodik, nach der der Test durchgeführt wurde, wird im Bericht ausführlich beschrieben. So wurden zunächst automatisierte Tests mit Google Lighthouse und WAVE durchgeführt, um potenzielle Barrieren auf den ausgewählten Webseiten zu identifizieren. Bei vielen Test wurde auf dieser Basis bereits auf eine tiefergehende Analyse verzichtet (wenn ich das richtig interpretiert habe). Anschließend wurden bei den vielversprechenderen Seiten noch qualitative Tests von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen durchgeführt, um die tatsächliche Benutzerfreundlichkeit für diese Zielgruppen zu bewerten. Die Ergebnisse werden im Bericht detailliert erläutert und bebildert, sodass der Bericht auch für weniger eingeweihte Menschen durchaus interessant zu lesen ist.

Schritte in Richtung Barrierefreiheit

Der Untersuchungsbericht legt aber nicht nur den Finger in die Wunde. Webseitenbetreiber erhalten im Bericht auch konkrete Handlungsempfehlungen, um die Barrierefreiheit ihrer Seiten zu verbessern. Neben allgemeinen Tipps werden konkrete Empfehlungen gegeben, die auf den Ergebnissen der Tests basieren. Diese sollen den Betreibern helfen, ihre Webseiten barrierefreier zu gestalten und somit allen Nutzern einen gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen. Insgesamt zeigt der Bericht deutlich, dass die Barrierefreiheit von Online-Shops in Deutschland stark verbessert werden muss, um die digitale Teilhabe für Menschen mit Behinderung zu verbessern und eine inklusive Gesellschaft zu fördern. Laut Untersuchungsbericht erfordert das allerdings zum einen die Zusammenarbeit mit Experten für Barrierefreiheit, um sicherzustellen, dass die Richtlinien und Standards tatsächliche eingehalten werden. Zu anderen sollten Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für das Thema Barrierefreiheit bei den Seitenbetreibern und den Verantwortlichen der unterschiedlichen Gewerke eine größere Rolle spielen, um das Bewusstsein und das Verständnis für Barrierefreiheit zu fördern. Das ist sicherlich auch nochmal ein wichtiger Punkt, denn Barrierefreiheit auf der einen Seite keine einmalige Angelegenheit und auf der anderen Seite auch nicht Aufgabe von Programmierung oder Design. Viele Barrieren entstehen in der Online-Redaktion im laufenden Betrieb. Zum Beispiel, wenn Alternativtexte fehlen oder Videos ohne Untertitel veröffentlicht werden. 

Fazit

Die Studie der Aktion Mensch und Google verdeutlicht, dass die Mehrheit der deutschen Online-Shops noch immer erhebliche Barrieren für Menschen mit Behinderungen aufweist. Es ist wichtig anzumerken, dass bei der Untersuchung nur ein Ausschnitt aus den WCAG 2.1 AA getestet wurde und der gesamte Payment-Prozess sowie der Warenkorb-Check-out nicht Teil der Untersuchung waren. Dies bedeutet, dass das tatsächliche Ausmaß der Barrierefreiheitsmängel erfahrungsgemäß noch deutlich größer ist als in der Studie dargestellt. Insbesondere dann, wenn man zusätzlich die anwendbaren Kriterien der EN 301549 abseits von Kapitel 9 Web berücksichtigt. Zudem enthält das Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes auch sprachliche Anforderungen, die zum Beispiel die Produktdokumentation betreffen. Auch das wurde, soweit ich das verstanden haben, nicht getestet. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen zwar, dass etwa drei Viertel der getesteten Online-Shops erhebliche Barrieren aufweisen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass die restlichen 25 Prozent der geprüften Seiten vollständig barrierefrei waren, wie man an manchen Stellen als Fazit der Untersuchung lesen kann. Die Untersuchung basierte auf Nutzertests, bei denen vorgegebene Aufgaben erfüllt werden sollten, und nicht auf einem Konformitätstest im Sinne des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes.

Angesichts der bevorstehenden gesetzlichen Vorschriften zur digitalen Barrierefreiheit, die ab Ende Juni 2025 umgesetzt sein müssen, ist es von großer Bedeutung, dass Unternehmen ihre Websites und Online-Shops schon jetzt anpassen (die Zeit vergeht schnell). Die Einhaltung der WCAG 2.1 AA-Standards und die Zusammenarbeit mit Experten für Barrierefreiheit sind dabei entscheidend. Es ist notwendig, dass Unternehmen die Bedeutung der Barrierefreiheit erkennen und ihre Websites entsprechend gestalten bzw. anpassen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Umsetzung des European Accessibility Act in Deutschland durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zu einer Verbesserung der Barrierefreiheit im E-Commerce führen wird. Es bedarf jedoch weiterer Anstrengungen, um eine inklusive digitale Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen, unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten, gleichermaßen am Online-Handel teilhaben können. Indem wir uns bewusst machen, dass Barrierefreiheit eine soziale Verantwortung ist und gemeinsam daran arbeiten, Barrieren abzubauen, können wir eine inklusivere und zugänglichere Online-Welt schaffen.

Schade ist, dass der Untersuchungsbericht selbst auch nicht vollständig barrierefrei umgesetzt wurde. Zwar entspricht er dem PDF/UA-Standard und ist semantisch sauber strukturiert. Auch sind Bilder mit Alternativtexten versehen. Allerdings reichen die Kontraste an einigen zentralen Stellen nicht aus, insbesondere bei weißer Schrift auf orangem und hellblauem Hintergrund. Gerade bei einem Bericht mit dem Titel „Testbericht: So barrierefrei sind Online-Shops in Deutschland“ sollten keine Kompromisse in diesem Bereich gemacht werden. Zusätzlich ist auf einem Foto auf Seite 21 des Berichts der seit seiner Geburt blinde Kollege Domingos de Oliveira im Gespräch mit einer jungen Frau zu sehen. Der Alternativtext lautet „Ein Mann und eine Frau sitzen sich lächelnd gegenüber. Der Mann hat auf seinem Schoß einen offenen Laptop“. Ich denke, dass man im Kontext hier etwas detailliertere Informationen über den Inhalt des Bildes und die abgebildeten Personen erwarten kann. Aber das nur am Rande.

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Als Agentur für Universelles Design und Herausgeber des Barrierekompass, hat anatom5 seit 2003 eine weitreichende Expertise im Bereich barrierefreie Informationstechnologie erlangt.

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Die intensive Beschäftigung mit digitaler Barrierefreiheit spiegelt sich auch in diversen Auszeichnungen wider, die anatom5 seit 2003 erhalten hat, darunter 10 Nominierungen für einen BIENE-Awards der Aktion Mensch.

Digitale Barrierefreiheit