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Mehr barrierefreie Webseiten durch Zielvereinbarung?!

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Anlässlich des "Europäischen Protesttags zur Gleichstellung behinderter Menschen" am 5. Mai forderte Professor Christian Bühler vom Aktionsbündnis für barrierefreie Informationstechnik eine stärkere Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen im Internet.

"Für Menschen mit Behinderungen bietet das Internet heute eine Fülle von Informationen und Dienstleistungen, an die sie früher nur schwer herankamen. Aber noch viele Auftritte sind immer noch nicht barrierefrei. Das muss sich endlich ändern."

Zielvereinbarungen für barrierefreie Webseiten 

Seit der Verabschiedung des BGG existiert das Instrument der Zielvereinbarungen, mit dem Behindertenorganisationen nach dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes Vereinbarungen mit Unternehmen oder Unternehmensverbänden abschließen können, um mehr Barrierefreiheit zu erreichen. Eine solche Zielvereinbarung ist im Prinzip ein Vertrag, der die Schritte zur Umsetzung von Barrierefreiheit für beide Vertragsparteien verbindlich regelt. Bisher wurde das Instrument der Zielvereinbarung in Deutschland allerdings wenig bis gar nicht genutzt. Das soll sich jetzt ändern.

AbI-Projekt forciert Zielvereinbarung 

Pünktlich zum "Europäischen Protesttags zur Gleichstellung behinderter Menschen" veröffentlichte das Aktionsbündnis für barrierefreie Informationstechnik seine erste Musterzielvereinbarung für barrierefreie Informationstechnik. Diese beruht auf den Grundlagen der Musterzielvereinbarung des Deutschen Behindertenrats.

Es geht uns darum, die Informationstechnik vor allem am Arbeitsplatz für Menschen mit Handicap ungeschränkt zugänglich zu machen. Das steigert die Nutzer- und Bedienerfreundlichkeit, von der auch alle anderen Mitarbeiter profitieren. (...) Wenn ein Verband die erste Zielvereinbarung mit einem Unternehmen abschließt, wird das Aktionsbündnis diesen Prozess begleiten und sein gesamtes Fachwissen in den Verhandlungsprozess einbringen. 

so Bühler. Der Abschluss einer Zielvereinbarung für barrierefreie Informationstechnik bringe also große Vorteile für den gesamten Betrieb.

Zielvereinbarung oder Selbstverständnis 

Wir vom Barrierekompass haben uns schon öfter die Frage gestellt, welche Hebel in Bewegung gesetzt werden müssen, um barrierefreie Webseiten zum Standard im Internet zu erheben. Nach dem Prinzip "steter Tropfen höhlt den Stein" trägt sicherlich jedes ehrlich gemeinte Engagement seinen Teil zum großen Ziel bei. Insofern wäre es nicht fair, das Instrument der Zielvereinbarung isoliert zu betrachten und zu bewerten, vor allem, wenn man dem Instrument mit Skepsis gegenüber steht.

Als Mitglied im AbI-Projekt waren wir als Agentur schon frühzeitig über die Zielvereinbarung informiert. Wir hatten auch die Gelegenheit die ersten Entwürfe zu kommentieren und mögliche Verbesserungen vorzuschlagen. Obwohl unsere niederländischen Nachbarn schon länger über ein vergleichbares Instrument verfügen, sind wir von der Praxistauglichkeit einer Zielvereinbarung wenig überzeugt. Allerdings richtet sich die Zielvereinbarung vermutlich auch weniger an klein- und mittelständische Unternehmen - also nicht an unsere Kunden.

Da wir die allgemeine Vertragsgestaltung und damit verbundene juristische Feinheiten nicht beurteilen konnten - das ist die Aufgabe von Juristen - haben wir die Entwürfe zur Zielvereinbarung Ende Januar 2005 in einem Schreiben an das AbI-Projekt nur grundsätzlich kommentiert: 

Es stellt sich für uns aber die Frage, welche Zielgruppe mit der Zielvereinbarung angesprochen werden soll. Denn alle die, die den gesetzlichen Anforderungen der BITV ohnehin entsprechen müssen, brauchen keine Zielvereinbarung. Insofern richtet sich die Zielvereinbarung vermutlich an Unternehmen der freien Wirtschaft. Bis in die freie Wirtschaft ist das Thema Barrierefreie Informationstechnik, geschweige denn die BITV, aber noch (fast) nicht vorgedrungen. Hier ist sicherlich noch eine Menge Aufklärungsbedarf nötig, um überhaupt erstmal den Grundstein für eine Zielvereinbarung zu legen. Zwar scheint das Instrument der Zielvereinbarungen zum Beispiel in den Niederlanden zu funktionieren, allerdings sind die Voraussetzungen hier andere.

Unsere Erfahrung ist, dass erstmal ein breites Bewusstsein für die Thematik Barrierefreie Informationstechnik geschaffen werden muss. Es müssen die vielfältigen Vorteile für alle Beteiligten kommuniziert werden, erst dann kann man - nach unserer Meinung - den Weg einer vertraglichen Zielvereinbarung erfolgreich gehen. Um ehrlich zu sein: Wir glauben nicht, dass Barrierefreies Webdesign über Paragraphen den Weg in die Köpfe der Entscheider finden wird.

"Willst Du ein Schiff bauen, so rufe nicht Menschen zusammen, um Pläne zu machen, Arbeit zu verteilen, Werkzeuge zu holen und Holz zu schlagen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen, endlosen Meer." (Antoine de Saint- Exupéry )

Vielleicht sollten die Zielvereinbarungen gestaffelt werden. Zum Beispiel Schritt 1: Ausgesuchte Entscheidungsträger erklären sich bereit, sich über das komplexe Thema Barrierefreie Informationstechnik, mithilfe von Schulungen und Workshops, aufklären zu lassen. Unsere Erfahrungen mit Schulungen und Workshops haben gezeigt, dass sich dann schnell ein Aha-Erlebnis einstellt. In einem nächsten Schritt kann man dann mit den "aufgeklärten Entscheidungsträgern" über eine Zielvereinbarung der Umsetzung sprechen. Ist die Zielvereinbarung erreicht, kommt für Unternehmen der interessante Teil: Tue Gutes und rede darüber! Auch hier sollte das Mittel der Zielvereinbarung in ein integriertes Kommunikationskonzept eingebunden sein. Um das Mittel der Zielvereinbarung etablieren zu können, sollten sich die Interessenvertreter aller Behindertenverbände in erster Linie fragen, welchen Vorteil Unternehmen von einer Zielvereinbarung und von Barrierefreier Informationstechnik haben. Versetzen Sie sich in die Lage von Unternehmern und geben Sie Antworten. Die Zielvereinbarung ist dann der letzte Schritt.

Übrigens: Gerade Unternehmen, die für eine Zielvereinbarung in Frage kämen (zum Beispiel Bayer), pflegen häufig eine Kultur des Corporate Citizenship, sprich des systematisch betriebenen bürgerschaftlich/sozialen Engagements und übernehmen so eine gesellschaftliche Verantwortung. Insofern wäre eine Zielvereinbarung für Barrierefreie Informationstechnik nur ein gesellschaftliches Betätigungsfeld unter vielen. Das Gleiche gilt mittlerweile auch für mittelständische Unternehmen: www.ccdb-pro-mittelstand.org/beispieldatenbank/ 

Wie gesagt, man kann das Instrument der Zielvereinbarung nicht isoliert betrachten und bewerten. Sicherlich hat die soziale Komponente zur Verbreitung von Barrierefreiheit einen sehr hohen Stellenwert. Parallel wird es aber eine Bewegung für mehr Barrierefreiheit geben, die das Instrument der Zielvereinbarung nicht nutzen wird und nutzen kann. Hierzu zählen auch wir. Noch ist Barrierefreiheit ein mehrheitlich soziales Argument.

Aber langfristig müssen sich in den Köpfen der Entscheider Begriffe wie Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement, Nachhaltigkeit und Zukunftssicherung, Effizienz und Effektivität verankern. Nur dann hat Barrierefreiheit die Chance zur Selbstverständlichkeit zu werden.

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