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KI und Leichte Sprache – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

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Nach der gemeinsamen Einschätzung der Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für die Barrierefreiheit von Informationstechnik zum Einsatz von Overlay-Tools, hat die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreie Informationstechnik jetzt auch eine fachliche Einordnung von KI-Übersetzungstools für Leichte Sprache veröffentlich.

Ich habe selbst mit zwei versierten Partnern das webbasierte Tool leichte-sprache.io entwickelt, das Texte automatisch in Leichte Sprache übersetzt (mein Part war die Entwicklung von Trainingsdaten und die iterative Kontrolle der Übersetzungsergebnisse). Deshalb kann ich viele Aspekte dieser Einordnung gut nachvollziehen.

Im vergangenen Jahr mussten wir das Projekt leichte-sprache.io leider aus unterschiedlichen Gründen einstellen. Die Idee dahinter war vielversprechend – eine KI-gestützte Lösung zur automatisierten Übersetzung von Texten in Leichte Sprache. Doch letztlich zeigte sich, dass der Anspruch, Leichte Sprache auf Knopfdruck zu erzeugen, mit den aktuellen technologischen Möglichkeiten derzeit noch nicht das Niveau professioneller Übersetzerinnen und Übersetzer erreichen kann – auch wenn unsere Übersetzungsergebnisse teilweise bemerkenswert gut waren. Das war aber nicht der Grund für das Aus von leichte-sprache.io. Der Hauptgrund lag in der für uns fehlenden Möglichkeit der Monetarisierung. Als kostenloses Tool wäre leichte-sprache.io sicherlich ein Erfolg geworden, denn die Plattform konnte zeitweise fast 900 Nutzerinnen und Nutzer verzeichnen (die meisten davon waren allerdings keine professionellen Übersetzerinnen und Übersetzer für Leichte Sprache).

Vor diesem Hintergrund habe ich mit großem Interesse die fachliche Einordnung der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreie Informationstechnik zu KI-Übersetzungstools für Leichte Sprache gelesen. Ihre Einschätzung bestätigt viele meiner eigenen Erfahrungen und Herausforderungen, die wir in der Entwicklung gemacht haben.

Leichte Sprache ist mehr als vereinfachte Wörter

Leichte Sprache wurde entwickelt, um Menschen mit Lernschwierigkeiten den Zugang zu wichtigen Informationen zu erleichtern. Dafür braucht es weit mehr als nur kurze Sätze oder einfache Wörter. Entscheidend ist eine klare Struktur, eine logische Reihenfolge der Inhalte und eine konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen der Zielgruppe. Genau an dieser Stelle stoßen KI-Übersetzungstools schnell an ihre Grenzen.

Während eine KI gut darin ist, einzelne sprachliche Regeln anzuwenden – etwa das Verkürzen von Sätzen oder das Ersetzen schwieriger Begriffe – fehlt ihr das Verständnis für den Kontext. Ein Beispiel aus der Praxis: Soll eine KI einen Text über das Wahlsystem in Deutschland in Leichte Sprache übersetzen, kann sie zwar die Sätze kürzen, aber sie erkennt nicht automatisch, welche Erklärungen für die Zielgruppe notwendig sind. Was ist eine Wahl? Wie funktioniert sie? Was bedeutet „Bundestag“? Solche inhaltlichen Anpassungen kann bislang nur ein Mensch leisten, der sich in die Lebenswelt der Zielgruppe hineinversetzt.

Die Grenzen aktueller KI-Modelle

Unser eigenes Projekt hat gezeigt, dass KI-gestützte Übersetzungstools im Bereich der Leichten Sprache immer wieder mit den gleichen Herausforderungen kämpfen:

  • Strukturierung von Texten: KI kann einzelne Sätze vereinfachen, aber sie „gestaltet“ keine ganz neuen, logisch aufgebauten Texte mit einer neuen, für die Zielgruppe optimierten und verständlichen Reihenfolge. Man kann versuchen, KI dahin gehend zu trainieren, aber das ist sehr komplex. 
  • Inhaltsreduktion: Leichte Sprache bedeutet oft, komplexe Inhalte auf ihre Kernaussagen zu reduzieren – ein konzeptioneller Prozess, den KI-Modelle nicht gut beherrschen – insbesondere, wenn Ausgangstexte unstrukturiert sind und viele verschiedene Themenbereiche behandeln.
  • Zielgruppenorientierte Erklärungen: KI erkennt nicht, welche Begriffe für Menschen mit Lernschwierigkeiten problematisch sind und welche zusätzlichen Informationen notwendig wären. Man muss KI auch hier mühsam trainieren und komplexe Regelwerke festlegen. So etwas wie einen Entscheidungsspielraum „kennt“ KI nicht. 

KI als Hilfsmittel – aber kein Ersatz für menschliche Expertise

Die Überwachungsstelle betont zurecht, dass KI-Tools eine Unterstützung sein können, aber keine vollständige Lösung für die Übersetzung in Leichte Sprache bieten. Genau das war auch unsere Erfahrung: KI kann Vorschläge machen und erste Entwürfe generieren, die jedoch immer von Menschen überprüft und überarbeitet werden müssen.

Entscheidend bleibt die menschliche Expertise – nicht nur in der Anwendung der sprachlichen Regeln, sondern vor allem im Verständnis der Zielgruppe. Eine echte barrierefreie Umsetzung in Leichter Sprache kann nur gewährleistet werden, wenn Menschen mit Lernschwierigkeiten aktiv in den Prozess einbezogen werden. Anders als die Überwachungsstelle bleibe ich aber dabei, dass langfristig Texte in Leichter Sprache auch ohne Prüfgruppen „funktionieren“ müssen. Dafür haben wir ja die DIN SPEC 33429 Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache”. Ansonsten bleiben von menschlichen Übersetzerinnen und Übersetzern übersetzte Text auf lange Sicht Seltenheit, denn der Bedarf an Texten in Leichter Sprache übersteigt bei weitem die Kapazitäten von Übersetzerinnen und Übersetzern und vor allem von Prüfgruppen. Man wird sich also vermutlich in der Mitte treffen müssen. 

Fazit: Noch kein „Knopfdruck“-Lösung in Sicht

Die Idee, Texte auf Knopfdruck in Leichte Sprache zu übersetzen, klingt verlockend. Doch sowohl aus meiner eigenen Erfahrung als auch aus der fachlichen Einordnung der Überwachungsstelle lässt sich klar sagen: KI ist aktuell noch nicht in der Lage, die Anforderungen an barrierefreie Leichte Sprache vollständig zu erfüllen. Sie kann unterstützen, aber sie ersetzt nicht den menschlichen Blick auf Inhalt, Struktur und Verständlichkeit.

Es bleibt spannend, welche Entwicklungen die nächsten Jahre bringen. Doch bis dahin gilt: Wer Leichte Sprache wirklich barrierefrei umsetzen will, kommt an der menschlichen Prüfung und Überarbeitung nicht vorbei. Trotzdem bietet KI aus meiner Sicht große Chancen, denn wie gesagt, der Bedarf an Texten in Leichter Sprache übersteigt bei weitem die Kapazitäten von Menschen – insbesondere, wenn es um Informationen geht, die schnell in Leichter Sprache verfügbar sein sollen, wie zum Beispiel tagesaktuelle Nachrichten.  

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