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Im Schatten des BIK-Tests

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Vor einigen Monaten hat der Barrierekompass gefragt: "Braucht Barrierefreies Internet ein Prüfsiegel?". Nach wie vor sind wir der Ansicht, dass es ohne Zertifikat geht, auch wenn DIN CERTCO den Interessenten gerne anderes suggerieren möchte. Dennoch scheint es uns angebracht, noch einmal genauer hinzuschauen, denn mit den BITV-Tests schickt sich BIK an, einen De-Facto-Standard für Tests zu etablieren. Und gräbt nebenbei mit staatlich subventioniertem Preis-Dumping anderen Anbietern von Testverfahren das Wasser ab.

Was also ist der BIK-Test im Stande zu leisten? Wir haben uns ein Beispiel herausgesucht, an dem man die Leistungsfähigkeit, aber auch die Grenzen des Tests sehr gut erkennen kann: Den Virtuellen Arbeitsmarkt. Warum diese Website? Zum einen, weil genau diese Website bereits durch den Barrierekompass ausführlich getestet wurde und wir die Entwicklung von damals bis heute sehr gut beurteilen können und zum anderen, weil BIK sie in seinem eigenen "Test der Woche" behandelt hat.

Arbeitsagentur im (BIK-)Test

Die Virtuelle Arbeitsagentur hat im Internet schon mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Bereits zum Start der Seite wurde das millionenteure Projekt mit Kritik und Häme überzogen, die Nachwehen dauern immer noch an und kaum, dass die alten Wunden verheilen, reißt ein aktueller Test von BIK diese wieder auf. Das Ergebnis des Tests der Woche vom 21.10.2004 lautet 93,5 von 100 Punkten. Da kann man gratulieren, denn 93,5 von 100 Punkten ist ein sehr gutes Ergebnis. Oder nur ein gutes? Oder sogar nur ein durchschnittliches? Vielleicht sogar ein schlechtes?

93,5 von 100 - also 93,5% Zielerreichungsgrad - wenn man sich die Relationen ansieht. Wer würde zögern, hier ein wahrhaft gutes, ja sogar sehr gutes Resultat zu erwarten? BIK nennt das Ergebnis "befriedigend", denn alles unter 95 Punkten ist noch nicht gut. Die Bewertung "sehr gut" ist im BIK-Test gar nicht vorgesehen - man ist dogmatisch. Was bei uns ankommt: sehr gute barrierefreie Internetseiten kann es nicht geben. Bleiben wir aber bei den Fakten: 93,5 Punkte ist nach BIK Mittelmaß. Aber warum? Das kann auch Michael Zapp, Mitentwickler des Testverfahrens, nicht genau erklären, wie ein Zitat aus der Fraunhofer WAI-Liste zeigt:

Ein nicht besonders gut zu nutzendes Webangebot scheint die Anforderungen der BITV relativ gut zu erfüllen. Wir überlegen, woran das liegt, ob da irgend etwas nicht stimmt.

Werfen wir nochmal einen genauen Blick auf die Virtuelle Arbeitsagentur:

1. Standards

Seit unserem letzten Test der VA hat sich viel getan. Umstellung der Seiten auf tabellenloses Layout, zumindest in vielen Teilen der Site. Eine eindeutige Verbesserung. Vor allem, da die Site nun nach XHTML-Standards validiert. Im Bereich CSS sieht es noch nicht so rosig aus, was aber vornehmlich am Einsatz des Elementes cursor: hand liegt, das als Wiederholungsdelikt zählen darf. Ansonsten kommt die Seite hier gut weg.

2. Fotos & Grafiken

Bilder werden durchgängig mit Alternativ-Texten belegt, die Navigation ist nicht grafisch. Ohne Stylesheets funktioniert die Seite ebenfalls. Animationen werden nicht genutzt und Imagemaps findet man auch nicht. Positiv.

3. Schriftgröße

Alle Texte sind skalierbar, die Seite bleibt auf den meisten Seiten auch bei geringer Auflösung noch gut lesbar. Steigt man tiefer in die Seite ein, findet man jedoch zuweilen Formulare, die Aufgrund ihres mehrspaltigen Layouts eine höhere Bildschirmauflösung fordern. Schriftgrafiken sucht man vergeblich. Auch hier wurde überzeugend gearbeitet.

4. JavaScript & Objekte

Ganz ohne JavaScript kommt die Arbeitsagentur nicht aus. Kein Wunder, bei dem inhaltlichen Umfang und der Vielfalt an Funktionen, die angeboten werden müssen. Schön hingegen, dass auf Event-Handler, die eine Maus oder ein bestimmtes Verhalten voraussetzen, verzichtet wurde. Pop-Up Fenster lassen sich auch bei deaktiviertem JavaScript bzw. mit Lynx öffnen und alle Funktionen bleiben auch mit Screenreadern nutzbar. Lediglich das Logout-Verhalten nach 10 Minuten ist immer noch kritikwürdig, jedoch ist es Bestandteil des Sicherheitspaketes und somit vorläufig unumstößlich. Auch Barrierefreiheit muss Kompromisse eingehen. Technisch gesehen kommt die Seite der Arbeitsagentur gut weg.

5. Multimedia

Wo früher die freundliche Bea als Flash-Avatar residierte, gibt es nun eine Text-Hilfe. Multimediale Inhalte findet man in der Virtuellen Arbeitsagentur heute nicht mehr. Das war der Haupt-Kritikpunkt unseres letzten Tests gewesen. Scheinbar hat man sich entschieden, lieber auf derartige Elemente zu verzichten, als einen Versuch zu unternehmen, diese barrierefrei zu gestalten. Ohne Multimedia-Elemente ist die Seite in diesem Punkt jetzt barrierefrei - kein Zweifel. Ob ein völliger Verzicht angebracht ist, sei dahingestellt: immerhin nutzen auch nicht behinderte Menschen die Seite der Arbeitsagentur und für manchen Nutzer wäre eine gut gemachte multimediale Hilfe (eventuell sogar barrierefrei), eine echte Unterstützung bei der Benutzung der Seite.

6. Ansichtsoptionen

Wenn eine Seite so viele Inhalte hat, wie die Arbeitsagentur, sollte es entweder ein Layout geben, das für alle zugänglich ist, oder aber optimierte Versionen, die je nach Bedarf aufgerufen werden können. Zum Beispiel eine Version mit extra großer Schrift oder mit optimierten Kontrasten. Oder eine Druckversion. Diese Punkte vermissen wir noch immer, allerdings sind dies auch keine BITV-Notwendigkeiten, wie BIK in seinem Test richtigerweise bemerkt. Auf der anderen Seite lässt sich diese Forderung aus den Bedingungen der BITV (Bedingung 11.3) ableiten und ist überdies mit Hilfe von CSS schnell realisiert.

7. Farbkontraste

Optimal ist das sicherlich nicht, was die Arbeitsagentur in diesem Bereich abliefert. Insbesondere die Kenntlichmachung von besuchten Links und die mitunter schlappen Kontraste bei Bildern fallen hier ins Gewicht. Das kann man unter dem Aspekt der Lesbarkeit noch durchgehen lassen, allerdings würden erhöhte Kontraste hier nicht schaden. Siehe hierzu auch nochmals den Punkt Ansichtsoptionen.

8. Sprache

Leider werden Sprachwechsel nicht durchgehend ausgezeichnet. Gar nicht berücksichtigt werden Abkürzungen und Akronyme. Die Sprache ist leicht behördlich, obwohl man nun eine Agentur ist, alles in allem aber dennoch angemessen für die Zielgruppe. Fehlanzeige hingegen für Inhalte in Gebärdensprache. Für diese Seite eigentlich ein Muss.

Das Ergebnis

In der Summe kann man der Seite der Arbeitsagentur ein gutes Testergebnis attestieren, wenn man sich an der BITV entlanghangelt. Man hat alles getan, um diese Prüfpunkte einzuhalten. In manchen Punkten kann man sicherlich noch mehr unternehmen, den BITV-Konformisten sollte es jedoch reichen. Ist diese Seite nun also barrierefrei und wenn ja, in welchem Umfang?

Wir finden: die Seite der Virtuellen Arbeitsagentur ist BITV-konform. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Schwächen tauchen vor allem dort auf, wo Benutzbarkeit und Benutzerführung anfangen: gedoppelte Inhalte in unterschiedlichen Navigationspunkten, unübersichtliche Menüführung, leere Code-Elemente, schlechte Umsetzung von Formularen und vieles mehr. Leider alles Punkte, die vom BIK-Test nicht getestet werden.

BIK = Beliebige Interpretation der Kriterien?

Leider ist es so, dass die BITV dem Tester sehr viel Interpretations-Spielraum einräumt. Scheinbar zuviel Freiraum für einige Tester. Ein unabhängiger Test ist das von BIK entwickelte Verfahren nicht, wie Insider wissen. Getestet wird zumeist mit einem einzelnen User-Agent, einem Betriebssystem und von zwei Personen. Diese Kombination repräsentiert dann den Bevölkerungsquerschnitt bzw. den durchschnittlichen Besucher der Seite. Das Testverfahren für den BIENE-Award kann hier sicherlich als mustergültig angesehen werden: Grobtest, Feintest, Benutzertests und Jury bilden eine sinnvolle Kette. Davon ist man bei BIK weit entfernt, auch wenn man mit dem DMMA einen Top-Kunden und seinen eigenen Award für Barrierefeiheit gewinnen konnte.

Bobby, BIK & Bunte Buttons

Resultate, wie das eBay-Testergebnis mit 76 von 100 Punkten machen stutzig. In Relation zur Arbeitsagentur sind das magere 17,5 Punkte Unterschied. Angesichts der willkürlichen Gewichtung der bewerteten Elemente, die sich an den Grenzen der verbandseigenen Klientel orientiert (den Blinden- und Sehbehindertenverbänden), ein nicht weiter verwunderlicher Aspekt. Dennoch schmückt man sich gerne mit dem BIK-Ergebnis, wie jüngst eine Pressemitteilung des NDR zeigte, die auf den Test der eigenen Seite durch BIK verweist. Dort spricht man dann auch von "Prädikat" und im gleichen Atemzug heißt es "Die Barrierefreiheit ist nach den höchsten Standards umgesetzt worden." - so vorbildlich, dass die Seite der Pressemitteilung in so manchem Mozilla-Browser neuesten Datums nicht korrekt funktioniert. Bedenklich. Zumal das Ergebnis auf der BIK-Skala mit 88,5 Punkten nicht wirklich höchste Standards erreicht haben kann. Wir erinnern uns: 93,5 sind nach BIK-Maßstäben befriedigend.

Gegendarstellungen sucht man auf den Seiten von BIK jedoch vergebens. Stattdessen wurde der NDR (war auch schon Thema im Barrierekompass) als Test der Woche nachgeschoben und das Testergebnis zugänglich gemacht. Wer die Branche kennt, weiß, dass BIK bereits bei der Erstellung der NDR-Site beratend beteiligt war. Flucht nach vorne mit Rechtfertigungsansätzen. Es liest sich - ähnlich dem Testresultat der Virtuellen Arbeitsagentur - wie ein Grundschulzeugnis. Klingt da Unsicherheit mit?

Was das automatische Testwerkzeug Bobby angeht: Bobby haben wir schon lange den Laufpass gegeben. Dennoch gieren viele Seitenbetreiber nach wie vor danach, von Bobby als "barrierefrei" eingestuft zu werden. Die manuellen Prüfschritte werden dabei geflissentlich überlesen. Auf der Hatz nach möglichst vielen bunten Buttons, die alle "Barrierefrei" schreien, fehlt scheinbar nur noch der BIK-Button. Powered by Ausgleichsabgabe (§140 SGB IX).

Stillhalten oder reagieren

Lange haben wir uns mit den verschiedenen Testverfahren auseinandergesetzt, uns die Testergebnisse von BIK, Imergo, Bobby und all den anderen angesehen. Wir haben sie verglichen, mit der BITV abgestimmt und auch in den großen Kontext zur Usability gestellt. Dabei ist uns eines aufgefallen: Barrierefreiheit ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. Das zeigt der Test der Arbeitsagentur sehr deutlich. Herkömmliche Verfahren, wie Imergo, BIK-Test oder Bobby scheitern hier. Jedes Verfahren auf seine Weise. Die Einen, weil es automatisierte Tests sind, die eine manuelle Nachprüfung verlangen. Die Anderen, weil sie nicht reproduzierbar sind, zu schmal ausgelegt wurden und oft das nötige Praxiswissen fehlt.

Viele Experten halten den Atem an, denn Kritik am BIK-Testverfahren, das in seiner Gesamtheit veröffentlicht wurde und somit sehr transparent ist, zu äußern, das wäre doch zuviel des Guten. Seit kurzem ist klar: das AbI-Projekt nutzt das BIK-Testverfahren unter dem Namen BITV-Kurztest im Rahmen eines 3-stufigen Testverfahrens, wenngleich nicht alle Aspekte des hier kritisierten BIK-Tests übernommen werden. Bei BIK klingt das ganz anders, denn dort brüstet man sich damit, dass das Prüfverfahren vom AbI-Projekt empfohlen werde, was in dieser Form nicht stimmt. Als AbI-Mitglied sind wir von solchen Meldungen jedoch unmittelbar betroffen. Da wir mit dem Barrierekompass ein eigenes Themen-Portal unterhalten und im Rahmen unserer Dienstleistungen sowohl einen kostenlosen Schnelltest auf Barrierefreiheit als auch eine professionelle Pfadanalyse (Barriere-Check Pro) einer Website unter Accessibility- und Usability-Gesichtspunkten anbieten, sind wir gezwungen, zu reagieren. Denn ein Testverfahren, dass den Blickwinkel einer bestimmten Zielgruppe vertritt, ist in unseren Augen nicht dazu geeignet, Barrierefreiheit im Ganzen zu überprüfen. Die Einhaltung der BITV ist wichtig, keine Frage. Sie ist aber auch nicht alles und bedarf sorgfältiger und praxisnaher Interpretation - ohne Verbandsbrille.

Fazit

Nein, der Barriere-Check Pro ist nicht die Antwort auf den BIK-Test. Es ist nur eines von vielen am Markt befindlichen Testverfahren. Denn Fakt ist: Es gibt noch kein genormtes Prüfverfahren, nur Benutzertests und Experten-Tests. Letzteres ist der Barriere-Check Pro. Wer einen fundierten Test haben möchte, der nicht nur stur und starr der Priorität 1 der BITV und den technisch verifizierbaren Prüfschritten folgt, ist mit dem Barriere-Check Pro bestens beraten.

Wer mehr will, kann den allerbesten Test auf Barrierefreiheit aber auch kostenlos haben: Den umfangreichsten Test auf Barrierefreiheit erhält man nämlich auch weiterhin, wenn man sein Projekt zum BIENE-Award anmeldet. Allerdings braucht man dafür Zeit. Und man sollte schon über eine zumindest barrierearme und valide Seite verfügen, wenn man nicht bei den ersten Grobtests rausfliegen will.

Eine weitere Option ist die Beauftragung eines umfassenden Usability-Tests, bei dem ein Panel mit Probanden zusammengestellt wird, das dem Nutzerdurchschnitt der zu testenden Site entspricht. Erweitert man diesen Usability-Test um einige Accessibility-Aufgaben, kommt man der Praxis schon sehr nahe. Ob das am Ende günstiger ist und mehr Aussagekraft hat steht auf einem anderen Blatt.

In der Regel suchen Firmen, Städte und Gemeinden nach kompetenten Möglichkeiten, ihre Seiten auf etwaige Schwachstellen oder Barrieren hin zu prüfen. Meist mit konkreten Hintergedanken bezüglich weiterer Projektplanung. Daher empfiehlt es sich, einen Experten zu suchen, der auch die praktische Umsetzung bzw. konkrete Hilfestellungen leisten kann. Sorry, liebe BIK-Tester, diese Aufgabe könnt ihr leider (noch) nicht erfüllen.

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