Einfache Sprache – leichte Sprache
Am 23.09.2018 ist in der Welt ein Beitrag zu einer Beilage in der Bundestagszeitung „das Parlament“ in leichter Sprache erschienen. Zum Glück steht über dem Beitrag riesengroß „Meinung“. Denn eine Meinung darf natürlich jeder haben, und so ist das auch bei Frau Susanne Gaschke, die den Meinungsbeitrag verfasst hat.
Kann das die Sendung mit der Maus besser?
Journalistische Sorgfaltspflicht und Grundregeln sind bei speziellen Formaten, wie beispielsweise Kolumnen oder eben auch Meinungen vergleichsweise egal. Und so kommt es, dass Frau Gaschke auf Stammtischniveau vollkommen unreflektiert ihre Meinung zum Thema leichte Sprache raushaut. Zitat:
„Eine Ausgabe der Bundestags-Zeitung „Das Parlament“ ist mit einer Beilage in „leichter Sprache“ erschienen. Doch die Beilage drückt komplizierte Dinge nicht einfach, sondern dumm aus. Sie ist der Inbegriff von Herablassung.“
Im nächsten Absatz weist sie dann noch nebenbei darauf hin, dass die Wochenzeitung des Parlaments Steuer finanziert ist. Nach ihrem Meinungsbeitrag kann man nur zu einem Schluss kommen: was für eine Steuerverschwendung! Weiter schreibt sie: „irgendjemand muss der grundvernünftigen Redaktion dieser Zeitung vor einiger Zeit eine Beilage in so genannter leichter Sprache aufgezwungen haben.“ In einem fast hellen Moment, kommt sie zu dem Schluss, Zitat:
„die Beilage wendet sich ganz offensichtlich nicht an Studienräte, sondern Menschen, die irgendjemand einerseits für parlamentarismusinteressiert, andererseits aber für völlig unfähig hält, normale Zeitungsartikel zu verstehen.“
Frau Gaschke war mit dieser Beinahe-Erkenntnis so dicht dran an der Wahrheit und hat es am Ende doch nicht gemerkt. Wenn Sie ein wenig journalistisches Interesse und ein ganz klein bisschen Gespür gehabt hätte, hätte sie sich vielleicht gefragt, wie es zu der für ihren Geschmack ungewöhnlichen Sprachform kommt. Für sie ist leichte Sprache nur „grausam gegen die Grammatik“. Die genannte Beilage drückt Inhalte nach ihrer Gefühlslage „nicht einfach, sondern dumm aus“.
Leichte Sprache ist nicht einfache Sprache
Wenn Frau Gaschke keine Journalistin wäre, könnte man ihr das offensichtlich zu Grunde liegende Missverständnis auch relativ einfach nachsehen. Sie hat halt nicht die Transferleistungen hinbekommen, dass Angebote in leichter Sprache eben keine Angebote in einfacher Sprache sind. Sie vergleicht Texte in leichter Sprache einfach unreflektiert mit dem didaktischen Konzept der Sendung mit der Maus. Wie gesagt, am Stammtisch könnte man ein solches Missverständnis akzeptieren und auflösen. Von einer Journalistin darf man für ihre schriftlich geäußerte Meinung, die möglicherweise weniger journalistische Sorgfaltspflicht verlangt, etwas mehr Recherche verlangen.
Leichte Sprache ist eher wie Gebärdensprache
Ich frage mich, ob Frau Gaschke beim ersten Anblick eines Gebärdensprachvideos eine ähnliche Reaktion gezeigt hätte. Frei nach dem Motto: „wer soll denn das Finger-Gezappel verstehen?“ Leichte Sprache ist eine Sonderform der deutschen Sprache, die sich explizit an Menschen mit einer Lernbehinderung bzw. einer geistigen Behinderung wendet. Leichte Sprache ist genauso ein spezielles Angebot für eine spezielle Zielgruppe, wie es Gebärdensprachfilme sind.
Leichte Sprache und die BITV
Vielleicht hätte sich Frau Gaschke auch mal mit dem Behindertengleichstellungsgesetz und der BITV (Barrierefreie Informationstechnologie Verordnung) auseinandersetzen sollen. In der Anlage 2 Teil 2 der BITV 2.0 geht es explizit um die Bereitstellung von Informationen in Leichter Sprache – inklusive des speziellen Regelwerks, welches der Welt-Autorin in ihrem Meinungsbeitrag offensichtlich so übel aufgestoßen ist. Einige dieser Regeln lauten zum Beispiel: Abkürzungen, Silbentrennung am Zeilenende, Verneinung sowie Konjunktiv, Passiv oder auch Genitiv sind möglichst zu vermeiden. Wer sich dafür interessiert, kann sich das unter www.gesetze-im-internet.de durchlesen. Übrigens direkt nach den Regeln für die Bereitstellung von Informationen in Deutscher Gebärdensprache.
Jetzt mag Frau Gaschke zu ihrer Verteidigung mit dem Geltungsbereich der BITV argumentieren. Denn dieser bezieht sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf gedruckte Informationen. Allerdings hatte sie sich damit ja gar nicht auseinandergesetzt. Insofern kann sie dieses Argument auch nicht aus dem Hut zaubern. Zudem beschreibt die BITV auch nur die Mindestanforderungen der Barrierefreiheit für digitale Informationen. Jeder ist frei, diese Konzepte auszuweiten oder auch auf Printpublikationen anzuwenden. Letzteres ist hier geschehen und das ist eine gute Sache.
Das Missverständnis mit der einfachen Sprache
Das einzige, was man der Welt-Autorin zur Ehrenrettung zugute halten kann ist, sie ist mit ihrem offensichtlichen Missverständnis nicht alleine. In unserem täglichen Agenturalltag begegnen wir genau diesem Missverständnis immer wieder. De facto setzt Jeder leichte Sprache mit einfacher Sprache gleich. So lange, bis jemand vorbeikommt, der das Missverständnis aufklärt. Ich finde das auch außerhalb einer journalistischen Plattform absolut normal und nachvollziehbar. Aber mit dem Beruf „Journalistin“ ist auch eine gesellschaftliche Verantwortung verbunden. Und eine so unreflektierte Meinung auf Papier zu bringen, spricht wirklich nicht für die journalistische Qualität der ansonsten hoch angesehenen Welt. Es sei denn, der Beitrag sollte eigentlich in die Rubrik Satire.
Stammtischleser teilen ihre Meinung
Zeitungen wie die Welt senden ihre Meinung schon lange nicht mehr nur unidirektional raus, sondern nutzen Technologien und Kanäle, um ihre Meinung zu teilen und weiter zu verbreiten. Am Ende steht die Frage „Teilen Sie die Meinung des Autors?“ – zum Zeitpunkt, da ich hier diese Zeilen schreibe, geben 357 Leser der Autorin recht. Nur 22 Leser tun das nicht. Ich finde das erschreckend. Denn von den Lesern kann man nicht erwarten, dass sie sich mehr informieren, als die Autorin des Meinungsbeitrags selbst. Zum Glück gibt es einige intelligente Leser, die ihrer Wut über den dämlichen Artikel in den Kommentaren zum Artikel, freien Lauf lassen. Wer sich also die Mühe macht, auch die Kommentare zu lesen, bekommt ein differenzierteres Bild. Zum Glück. Zumindest zeigen die Kommentare, dass es ein paar Menschen gibt, die die Hintergründe kennen. Daran sollte sich Frau Gaschke ein Beispiel nehmen.
Ich hoffe Frau Gaschke liest diesen Beitrag und erkennt ihren Fehler. Eine Richtigstellung wäre angemessen. Es wäre ein vernünftiger Zug von ihr.
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